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Alternde Barrieren und endotheliale Seneszenz

Wie moduliert die endotheliale Seneszenz die Schnittstellen von Organen bei Alterung und Krankheit?

Endothelzellen (ECs) bilden hochspezialisierte, selektive Barrieren zwischen Organen und dem Gefäßsystem und sind unerlässlich für die Aufrechterhaltung physiologischer Prozesse sowie den Schutz der Organe vor schädigenden Einflüssen. Diese Barrieren ermöglichen eine gezielte Steuerung des Stoffaustauschs und gewährleisten, dass nur bestimmte Substanzen die Organe erreichen. Mit zunehmendem Lebensalter, aber auch im Verlauf von Erkrankungen, insbesondere im Rahmen von zellulärer Seneszenz – einem Zustand der irreversiblen Zellzyklus-Arretierung infolge innerer oder äußerer Schädigungengen wie Demenz zu untersuchen. Dazu werden innovative in vitro-Modelle der BBB, abgeleitet von humanen iPS-Zellen unterschiedlicher Alters- und Krankheitsgruppen, mit in vivo-Tiermodellen kombiniert, in denen alters- und seneszenzbedingte Veränderungen in peripheren Gefäßsystemen analysiert werden. Im Fokus stehen insbesondere die Funktion von Sialinsäure als Schlüsselmoleküle der Barriere-Regulation und gezielte Transmigrationsexperimente zur funktionellen Bewertung der Barriereintegrität. Parallel werden Blutproben von Patient:innenkohorten mit neurodegenerativen Erkrankungen auf seneszenzassoziierte Biomarker untersucht, um Hinweise auf neue diagnostische Marker und therapeutische Ansätze zu gewinnen. Das multidisziplinäre Konsortium an der MLU Halle-Wittenberg vereint medizinische und naturwissenschaftliche Expertisen und verfolgt das langfristige Ziel, ein translationales, drittmittelfinanziertes Netzwerk zur Erforschung von zellulärer Seneszenz und Endothelbarrieren nachhaltig zu etablieren.

Projektbeschreibungen

Im Projekt SP1 steht die Identifikation und Validierung von Protein-Biomarkern für Seneszenz und Veränderungen der Barrierefunktion der Blut-Hirn-Schranke im Liquor (CSF) und im Blut aus einer alternden Kohorte sowie von Patient*innen mit neurodegenerativen Erkrankungen im Fokus. Insgesamt sollen über 2000 Proben analysiert werden. Die hierfür benötigten Proben entstammen existierenden biomedizinischen Materialbanken. In einem ersten Schritt erfolgt die umfassende Charakterisierung sowie Harmonisierung der Studienkohorte. Hierzu soll die Kohorte auch hinsichtlich bereits etablierter Marker neurodegenerativer Prozesse harmonisiert und mit den klinischen Daten korreliert werden. Darüber hinaus werden aus dem vorhanden Probenmaterial spezifische potenzielle Marker für die Integrität der Blut-Hirn-Schranke unter Einsatz moderner analytischer Methoden wie SIMOA (Single Molecule Array, digitale Immunoassay-Plattform) und gezielter Massenspektrometrie (MRM) identifiziert und validiert. Die Datenanalyse integriert sowohl Querschnitts- als auch Längsschnittdaten, um Dynamiken im Verlauf neurodegenerativer Erkrankungen zu erfassen. Am Ende werden die vielversprechendsten Kandidaten integriert und auf ihren klinischen Nutzen überprüft, indem umfangreiche klinische und biochemische Daten zusammengeführt werden. Schließlich sollen die Ergebnisse zu neuen Kriterien für Risikostratifizierung, Verlaufskontrolle und gezieltes Therapiemonitoring führen. Das Projekt liefert somit die Grundlage für neue diagnostische Ansätze und soll spezifische Seneszenzmarker als prädiktive und prognostische Werkzeuge für neurodegenerative Erkrankungen etablieren.

SP2 adressiert die zellulären und molekularen Mechanismen der Seneszenz an der Blut-Hirn-Schranke (BBB) unter Verwendung humaner iPSC-Modelle. Dazu werden induzierte pluripotente Stammzellen (iPSCs) von neurologischen Patientinnen, gesunden älteren und jungen Spenderinnen eingesetzt und zu verschiedenen Zelltypen wie Endothelzellen, Astrozyten, Perizyten und Mikroglia differenziert. Mit einem breiten methodischen Ansatz (Proteomik, Immunfluoreszenz, Western Blot, Durchflusszytometrie) werden Seneszenzmarker auf Einzelzell- und Co-Kultur-Niveau systematisch erfasst, um zelltypspezifische Unterschiede nachzuweisen. Zudem werden Organoid-Modelle zur Validierung von Befunden eingesetzt, um die physiologischen Gegebenheiten besser nachzubilden. Funktionell werden die Effekte von oxidativem Stress zur Seneszenzinduktion sowie therapeutische Interventionen mittels Senolytika (z.B. Metformin, Rapamycin) geprüft. Besonderes Augenmerk liegt auf der Analyse der Interaktion von seneszenten Zellen mit ihrer Mikroumgebung und dem Einfluss auf benachbarte Zelltypen. Der Einfluss seneszenter Zellen und ihrer Exosomen auf das neurovaskuläre Umfeld wird ebenfalls untersucht, insbesondere im Hinblick auf inflammatorische Signalwege. Das Projekt quantifiziert Veränderungen im Markerprofil und in der Zellkommunikation, um relevante Signalwege und potenzielle Angriffspunkte für Interventionen zu identifizieren. Die Identifizierung neuer experimenteller Modelle ermöglicht eine funktionale Prüfung von Medikamentenkandidaten in translationalen Ansätzen. Ziel ist es, die Pathophysiologie der endothelialen Alterung besser zu verstehen und gezielt modulierbare Signalwege mit translationalem Potenzial für die Behandlung altersassoziierter Erkrankungen aufzuzeigen.

 

Das Projekt SP3 befasst sich mit der systematischen Analyse von Genexpressions- und Funktionseffekten der Seneszenz in vaskulären Zellen bei Mäusen und Menschen. Mittels umfassender Transkriptomanalysen (RNA-Seq) werden Alterungs- und Seneszenzprozesse in der Aorta von Mäusen unterschiedlicher Altersstufen und genetischer Hintergründe sowie in humanen Endothelzellen (HUVECs) untersucht. Die Analyse erfolgt geschlechtsspezifisch und beinhaltet sowohl Basalbedingungen als auch stressinduzierte Modelle (z.B. RAAS-Aktivierung), um Unterschiede zwischen verschiedenen Populationen sichtbar zu machen. Aufbauend auf diesen Daten werden gezielt Signalwege und Genkandidaten identifiziert, deren funktionelle Relevanz mit Hilfe primärer vaskulärer Zellen, gezielter Inhibitoren, siRNA oder CRISPR-Cas-Methoden geprüft wird. Dynamische Zelluntersuchungen erfassen dabei Effekte auf Zellproliferation, Migration, Metabolismus, Stressantwort und Barrierefunktion in Echtzeit. Zusätzlich erfolgt eine translationale Rückkopplung hinsichtlich der Blut-Hirn-Schranke, indem die identifizierten Signalwege im BBB-Modell analysiert und mit den Markerbefunden aus SP1 verknüpft werden. Ein besonderer Fokus liegt auf der Integration tierexperimenteller und humaner Daten zur Entwicklung neuer Messparameter für die vaskuläre Alterungsforschung. Die Ergebnisse ermöglichen ein tiefes Verständnis der molekularen Alterungsmechanismen und dienen der Entwicklung neuer Strategien zur Prävention oder Therapie altersbedingter vaskulärer Dysfunktion. Langfristig steht die Entwicklung präziser Interventionen zur Erhaltung der Gefäßgesundheit im Vordergrund.

In SP4 wird der Einfluss von Sialinsäure (Neu5Ac) und deren Biosynthese auf Seneszenzprozesse in humanen Endothelzelllinien mit Blut-Hirn-Schranken-Eigenschaften (THMBECs; Stins et al., 2001) untersucht. Ein Schwerpunkt liegt auf der Generierung einer Knockout-Zelllinie des für die Sialinsäure-Biosynthese essentiellen Enzyms GNE, um damit eine Arbeitsplattform zu generieren, welche eine gezielte Manipulation des Sialinsäure-Gehaltes einer Zelle ermöglicht. Durch oxidativen Stress und weitere Stressoren werden nun Schadensmechanismen in der Zelle simuliert, wie sie auch in vivo auftreten können. Anschließend werden der Sialinsäure-Gehalt, die Barrierepermeabilität und die Adhäsionsfähigkeit der Zellen bestimmt. Dabei spielt insbesondere der Vergleich der mutmaßlich normosialylierten wild-typ Zellen mit den mutmaßlich hyposialylierten GNE-knockout Zellen eine große Rolle – insbesondere bei Betrachtung der Reaktion auf den künstlich ausgelösten Stress. Ergänzend wird geprüft, ob die externe Gabe von Sialinsäure oder ihren Vorläufern den Alterungsprozess beeinflusst und so die Barrierefunktion stabilisieren kann. Die Resultate werden mit den Modellen und Markerbefunden der anderen Teilprojekte integriert, um systemische Zusammenhänge aufzuzeigen. Das Projekt liefert damit wichtige Erkenntnisse über die funktionelle Rolle von Sialinsäure im Kontext endothelialer Alterung und eröffnet neue Ansatzpunkte zur Modulation der Barriereeigenschaften im Alter. Abschließend werden die Befunde in den Kontext potenzieller klinischer Anwendungen zur Prävention von Barrierestörungen gestellt.

SP5 untersucht, wie sich Seneszenzprozesse auf die Transmigration mesenchymaler Stammzellen (MSCs) über verschiedene Endothelbarrieren auswirken. Hierzu werden primäre MSCs aus jungen, alten und APOE-Knockout-Kaninchen genutzt, die für altersabhängige metabolische Veränderungen prädestiniert sind. In neu etablierten BBB-Transmigrationsassays werden humane oder kaninchenspezifische Endothelzellen mit MSCs aus unterschiedlichen Altersgruppen zusammengebracht, um die Effizienz der Zellwanderung und deren Abhängigkeit von Seneszenzmarkern zu bestimmen. Quantitative Analysen erfassen neben der Migration auch das Seneszenzmarkerprofil sowohl der Endothelzellen als auch der migrierenden MSCs und ermöglichen so eine umfassende Charakterisierung der zellulären Interaktionen. Ergänzend werden vergleichbare Methoden an Endothelzellen peripherer Organe eingesetzt, um organspezifische Unterschiede zu identifizieren. Hierbei fließen auch Aspekte des Einflusses des APOE-Genotyps und altersbedingter Veränderungen in den Stoffwechsel der Stammzellen ein. Dadurch wird ein umfassendes Bild zur alters- und genotypabhängigen Durchlässigkeit der Gefäßbarrieren und zum Einfluss der Seneszenz geschaffen. Die so gewonnenen Daten fließen in Konzepte für potenzielle therapeutische Strategien im Kontext regenerativer Medizin ein. Ziel ist es, die Interaktion von alternden Stammzellen mit alternden Barrieren besser zu verstehen und potenzielle therapeutische Implikationen für regenerative Ansätze bei altersbedingten Erkrankungen zu entwickeln.

Mitglieder

Dr. med. Annemarie Thäle

Dr. med.
Annemarie Thäle

SP 1 – PI
Neurologie, UMH

Prof. Dr. med. Markus Otto

Prof. Dr. med.
Markus Otto

SP 1 – Co-PI
Neurologie, UMH

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Claudia Grossmann
Prof. Dr. med. Dr. rer. nat.
Claudia Grossmann

SP 3 – PI
Physiologie, UMH

Dr. rer. nat. Matthias Jung

Dr. rer. nat.
Matthias Jung

Sprecher & SP 2 – PI
Physiologische Chemie, UMH

Prof. Dr. Thomas Hollemann

Prof. Dr.
Thomas Hollemann

SP 2 – Co-PI
Physiologische Chemie, UMH

Dr. troph. Juliane-Susanne Jung

Dr. troph.
Juliane-Susanne Jung

SP 5 – PI
Anatomie & Zellbiologie, UMH

Dr. rer nat.
Astrid Gesper

SP 4 – PI
Physiologische Chemie, UMH

Dr. rer. nat.
Kaya Bork

SP 4 – Co-PI
Physiologische Chemie, UMH

Veranstaltungen